201607.09
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Das Ende der Internet-Abmahnungen?

Es war in den vergangenen Wochen vielfach in den Medien zu lesen: „Der Bundestag hat die Abschaffung der Störerhaftung beschlossen!“ Tatsächlich trifft es zu, dass der Bundestag erstmals mit der Drucksache 18/6745 vom 18.11.2015 eine Änderung des Telemediengesetzes beraten und schließlich am 02.06.2016 auf Grundlage eines Geänderten Entwurfes aus der Drucksache 18/8645 vom 01.06.2016 beschlossen hat, wobei auch am 17.06.2016 die Zustimmung durch den Bundesrat erteilt wurde.

Doch was genau bedeutet nun die viel zu lesende Aussage, die Störerhaftung sei abgeschafft worden, tatsächlich? Keineswegs hat nämlich der Gesetzgeber die Störerhaftung als solche insgesamt abgeschafft.

Zunächst ist es erforderlich, die bisherige Rechtslage einmal grob zu beleuchten. Klar ist und bleibt, dass jemand, der im Internet z.B. fremde Urheberrechte verletzt, für diese Handlung einerseits auf Schadensersatz haftet, andererseits aber auch auf Unterlassung. Damit verbunden ist üblicherweise auch der Ersatz der Rechtsanwaltskosten der Rechteinhaber, welche ebenfalls zumeist vierstellige Beträge erreichen.

Da regelmäßig kaum feststellbar ist, wer eine Rechtsverletzung über einen Anschluss begangen hat, hat der BGH eine tatsächliche Vermutung der Alleintäterschaft des Anschlussinhabers entwickelt. Das bedeutet, dass bei einer Verletzungshandlung über einen bestimmten Anschluss zunächst einmal davon ausgegangen wird, dass es der Anschlussinhaber selbst war, der dann auf Unterlassung und Schadensersatz haftet. Freilich steht es dem Anschlussinhaber frei, diese Vermutung zu widerlegen, wobei daran hohe Hürden geknüpft sind. Es reicht keineswegs die pauschale Behauptung, es sei ein Dritter gewesen; vielmehr muss regelmäßig die konkrete Möglichkeit aufgezeigt werden, auf welche Weise es ein Dritter gewesen sein kann. In der Praxis werden häufig andere Familienangehörige benannt, welche das Internet mit eigenen Computer nutzen oder Freunde, welchen das WLAN-Passwort gegeben wurden und die zum Tatzeitpunkt anwesend waren. Natürlich könnte die Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers auch dadurch entfallen, dass dieser ein offenes, also für jedermann zugängliches WLAN betreibt.

Der Grund, weshalb dieser Weg häufig nicht zum gewünschten Erfolg führt, liegt darin, dass vom BGH auch die sogenannte Störerhaftung entwickelt wurde: Kann der Anschlussinhaber (ausnahmsweise) die tatsächliche Vermutung seiner Alleintäterschaft hinreichend erschüttern, haftet der Anschlussinhaber gleichwohl auf Unterlassung (und die damit verbundenen Anwaltskosten; nicht hingegen auf Schadensersatz), wenn er nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um Rechtsverletzungen Dritter über seinen Anschluss wirksam zu verhindern. Das ist bislang sowohl eine hinreichende Verschlüsselung eines vorhandenen WLANs, als auch eine Aufklärung minderjähriger Nutzer über die Rechtslage sowie deren angemessene Kontrolle und Überwachung. Der Hinweis auf ein offenes WLAN hätte für den Nutzer bislang also dazu geführt, dass zwar die Vermutung der eigenen Täterschaft des Inhabers hinreichend erschüttert würde, gleichwohl jedoch die Störerhaftung voll durchgriffe.

Wichtig für das weitere Verständnis der Gesetzesänderung und deren Folgen ist genau diese Differenzierung zwischen der täterschaftlichen Vermutung und der Störerhaftung.

Was hat der Gesetzgeber nun genau geändert?

Der Gesetzgeber hat in § 2 des TMG zunächst definiert, was ein WLAN – in der Sprache des Gesetzgebers ein „drahtloses lokales Netzwerk“ – ist. Die zweite für die Störerhaftung relevante Änderung findet sich in § 8 TMG, welcher die bloße Durchleitung von Daten bei jedem Online-Provider betrifft. Dort ist, um es grob zusammenzufassen, geregelt, dass ein Diensteanbieter für fremde Informationen von Nutzern, deren Daten er nur durchleitet, grundsätzlich nicht verantwortlich ist. Diesem § 8 wurde nun ein weiterer Abs. 3 hinzugefügt, welcher regelt, dass ein solcher privilegierter Diensteanbieter auch ist, wer Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellt. Nach der Intention des Gesetzgebers soll also selbst der Privatmann, der sein WLAN für andere Nutzer öffnet, die Privilegien eines Diensteanbieters genießen.

Welche Auswirkungen hat das nun?

Klar ist damit zunächst, dass sich an der Vermutung der Alleintäterschaft des Anschlussinhabers nichts ändern wird. Bei einer Rechtsverletzung über den Anschluss wird dieser wohl auch weiterhin zunächst einmal das Abmahnschreiben in seinem Briefkasten finden. Wie bisher auch wird der Anschlussinhaber diese Vermutung erschüttern können, indem er glaubhaft darlegt, zum Tatzeitpunkt über ein (offenes) WLAN Dritten den Zugang zum Internet gewährt zu haben. Bereits hier ist klar: Privilegiert wird nur derjenige, der überhaupt ein solches WLAN für Dritte betreibt. Wer das nicht macht, für den ändert sich zur vorherigen Rechtslage schon einmal gar nichts. Die Frage bleibt dennoch, welche Anforderungen die Rechtsprechung möglicherweise stellen wird. So würde es mich nicht wundern, wenn die Rechtsprechung auf die Idee käme, den bloßen Verweis auf ein offenes WLAN zur Erschütterung der täterschaftlichen Vermutung nicht reichen zu lassen, sondern möglicherweise auch eine tatsächliche Fremdnutzung zum Tatzeitpunkt – etwa durch Netzwerkprotokolle – dargelegt zu verlangen. Die jetzt schon bestehende Hürde, die täterschaftliche Vermutung zu erschüttern, entfällt also keinesfalls und führt für den Anschlussinhaber auf jeden Fall zunächst einmal zu Unannehmlichkeiten, deren Ausmaß derzeit noch nicht abgeschätzt werden kann.

Doch auch dann, wenn ein offenes WLAN vorhanden ist und die Vermutung wirksam erschüttert werden kann, besteht hinsichtlich der Störerhaftung noch nicht zwingend Entwarnung. So findet die Haftungsprivilegierung z.B. dann keine Anwendung, wenn der Anbieter des WLAN mit dem Nutzer gezielt zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich für diejenigen, welche kein WLAN für Dritte zur Verfügung stellen, nichts ändern wird. Erleichterungen kann es tatsächlich nur dann geben, wenn ein WLAN-Zugang für Dritte freigegeben wird, wobei sicherlich dann, wenn dieser Zugang verschlüsselt ist, von der Rechtsprechung gefordert wird, dass die Nutzer, welche im Besitz des gültigen Schlüssels waren, benannt werden. Höchst fraglich ist, ob dann, wenn beispielsweise minderjährige Kinder den Zugang nutzen, noch entsprechende Instruktions- und Überwachungspflichten angenommen werden können oder diese möglicherweise einfach als Nutzer zu sehen sind.

De facto wird es lediglich für Anbieter echter offener WLANs vermutlich einfacher, die täterschaftliche Vermutung zu entkräften und im zweiten Schritt hoffentlich auch der Störerhaftung zu entgehen. Ist deshalb nun jedem zu raten, ein offenes WLAN zu betreiben? Die Frage kann derzeit nicht bejaht werden, da einfach zu viele offene Fragen verbleiben, die in den nächsten Jahren von der Rechtsprechung zu klären sind. In jedem Fall müssen Betreiber offener WLANs mit – wenn auch vielleicht schlussendlich erfolgreichen – aber dennoch nervenaufreibenden und auch kostenintensiven rechtlichen Auseinandersetzungen rechnen. So schnell jedenfalls wird die „Abmahn-Industrie“ ihre Goldgrube nicht aufgeben wollen.

Abschließend noch ein wichtiger Hinweis: Die Privilegierung kommt ohnehin nur einem Anbieter zugute, der dem Nutzer das Internet per WLAN zur Verfügung stellt. Werden kabelgebundene Zugänge gestellt, wie dies etwa in vielen Hotels der Fall ist, greift die Privilegierung des § 8 III TMG nicht! Auch dort zeigt sich, wie wenig durchdacht die Regelung schlussendlich ist.

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Marc-Daniel Volk